Energiezukunft: Maximierung der Gesamteffizienz

Meinung: Schluss mit dem Insel-Denken. Der Umbau der Energieversorgung in Richtung Zukunftsfähigkeit wird nur gelingen, wenn wir systemisch denken. Entscheidend ist immer die Gesamteffizienz, nicht die der einzelnen Komponenten.

Photovoltaikanlagen werden abgeschaltet, weil gerade zu viel Strom im Netz ist. Speicher werden nicht gebaut, weil sie sich nicht rechnen. Investoren scheuen vor Anlagen zur Erzeugung von grünem Wasserstoff zurück, weil hier ebenfalls die Wirtschaftlichkeit in Frage steht. All das sind die Resultate einer Fokussierung auf isolierte Lösungen, die keine wirklichen Lösungen sind. Was wir stattdessen brauchen, ist systemisches Denken, das die Gesamteffizienz zum übergeordneten Ziel macht.

So, wie aktuell die Energiewirtschaft transformiert wird, nähern wir uns der Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit von Energieimporten lediglich in Mini-Schritten an. Letztlich verschwenden wir eine Menge Ressourcen an verschiedenen Stellen – weil wie gesagt Anlagen zur regenerativen Stromerzeugung nicht so viel produzieren, wie sie könnten. Weil wir sehr lange und damit sehr teure Stromleitungen quer durchs ganze Land bauen. Weil wir Unternehmen, die gerne in wirklich sinnvolle Konzepte investieren würden, abschrecken.

Sektorenübergreifendes Bottom-up-System

Natürlich muss das Stromnetz umgebaut werden, nur brauchen wir dafür ein Bottom-up-System, das alle Sektoren verknüpft, statt den Sektor Strom isoliert zu betrachten. Das heißt: Es sollte darauf geachtet werden, dass möglichst viel Energie dort verbraucht werden kann, wo sie erzeugt wird. Jede an Ort und Stelle sofort oder nach Speicherung „konsumierte“ Kilowattstunde muss nicht transportiert werden! Das erfordert einen neuen Plan für die Entwicklung der Netze, der die technischen Realitäten und Entwicklungen abbildet. Auch beim Gas ist systemisches Denken angesagt und nicht der Rückbau des aktuellen Netzes, ohne dessen Wert als Speicher in einem neuen System zu kalkulieren.

Aktuell ist es ein wenig so, als würden die Organe im menschlichen Körper völlig unabhängig voneinander nur jeweils ihre eigene Funktion optimieren. Vielleicht ginge daraus das Verdauungssystem als Sieger hervor, aber es bekäme irgendwann keinen Nachschub mehr, wenn etwa das Herz seine Leistung drosseln müsste. Tatsächlich ist aber im Organismus alles aufeinander abgestimmt und alle Mitspieler arbeiten optimal zusammen – und zwar so, dass aus der zugeführten Energie das Maximum herausgeholt wird. Ist zu viel davon da, wird sie in Form von Fett gespeichert, obwohl das ein paar Kalorien kostet. Der Körper betreibt sozusagen Vorratshaltung, um für Phasen gewappnet zu sein, in denen er darauf zurückgreifen muss.

Ein vielleicht ein wenig weit hergeholter Vergleich, doch prinzipiell müssen wir in Sachen Energieversorgung ebenso wirtschaften wie unser Organismus. Das heißt, wir müssen zu einem gesamtheitlich optimierten System kommen, bei dem die Orientierung an der Physik und nicht die am Markt Vorrang hat. Es gilt, dezentral zu agieren und alle Sektoren zu koppeln – also Strom, Wärme, Mobilität und industrielle Prozesse. Derzeit laufen wir in die völlig falsche Richtung, indem wir, als trügen wir Scheuklappen, nur einzelne Anlagen oder Bereiche betrachten.

Verteilung über Raum und Zeit

Was wir brauchen, sind Systeme, die den an sonnigen windreichen Tagen im Überschuss vorhandenen Strom nicht nur über den Raum verteilen, was teuer und derzeit nur eingeschränkt möglich ist, sondern auch über die Zeit. Konkret: Es sind dringend viel mehr Speicher nötig, etwa große Batterien und Wasserstoff-Anlagen. Die tragen dann zur Optimierung des gesamten Systems und zur Entlastung, also Stabilität des Netzes bei – und das muss entsprechend honoriert werden. Energie sollte künftig vornehmlich dort verbraucht oder gespeichert werden, wo sie erzeugt wird. Nur so wird Dezentralität wirklich gelebt und dominiert die Physik.

Anders ausgedrückt: Wir leben eben nicht auf einer Kupferplatte, sondern in einer komplexen Welt mit immer mehr volatiler Energieproduktion. Das Prinzip Energy-only-Market, nach dem nur die tatsächlich erzeugte Energie vergütet wird und nicht die gesamte Kapazität, also die Bereitschaft zur Produktion, spiegelt die Vorstellung wider, dass an jedem Ort zu jeder Zeit genügend Energie zur Verfügung steht. Diese Vorstellung aber ist reines Wunschdenken, nicht die Realität. Um das Gap zur Wirklichkeit zur schließen, müssen wir künftig wir bei Investitionen viel mehr Köpfchen statt nur Kupfer einsetzen.

Weg vom maximalen Profit für den Einzelnen

Natürlich werfen diese Forderungen, die ganz logisch aus konsequenter Orientierung an der Gesamteffizienz folgen, Fragen auf. In erster Linie muss geklärt werden, wer die Netze finanziert und welche Funktion sie erfüllen sollen, also wo sie in erster Linie dem Transport dienen und wo als Sicherungsnetz. Dabei spielt die Leistung eine Rolle, doch wir müssen weg vom „Ellenbogendenken“. Derzeit versucht jeder Player in der Energiewirtschaft, für sich selbst das Maximum herauszuholen, auch wenn das zulasten des Systems geht.

Stattdessen sollten die Fähigkeiten des Einzelnen honoriert werden, um das Ganze für alle günstiger zu machen. Ein Beispiel: die Eigenverbrauchsoptimierung bei PV-Anlagen im Einfamilienhaus-Bereich. Besser als diese wäre es, das System aus gesamtheitlicher Perspektive zu steuern, was lastvariable Netzentgelte bedingt. Die würden einen Wettbewerb um das beste System auslösen – und den um den höchstmöglichen Profit für den Einzelnen (im genannten Beispiel den Einfamilienhauseigentümer) ablösen.

Vier Zustände – vier Lösungen

Je nach aktuellem Angebot an Strom und Wärme einerseits sowie der aktuellen Nachfrage andererseits haben wir vier verschiedene Zustände, für die wir Lösungen brauchen:

  1. Viel Wind und viel Sonne, also viel Strom, aber geringer Wärmebedarf.
  2. Viel Wind und viel Sonne sowie hoher Wärmebedarf.
  3. Wenig Sonne und wenig Wind, also wenig Strom, sowie geringer Wärmebedarf.
  4. Wenig Sonne und wenig Wind, aber hoher Wärmebedarf.

Im Fall 1 wird in der Energiezukunft der im Überschuss vorhandene Strom für die Produktion von Pellets sowie zusätzlich für die von grünem Wasserstoff über Elektrolyse eingesetzt. Fall 2 erfordert, Wärmepumpen und Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen hochzufahren, während die Pelletproduktion reduziert wird und die Erzeugung von Wasserstoff pausiert. Im Fall 3 fahren wir mit Wasserstoff oder Pellets betriebene Blockheizkraftwerke hoch, wobei die dabei erzeugte Wärme verbraucht und der parallel produzierte Strom die Netze stabilisiert. Fall 4 führt ebenfalls zum Hochfahren von mit Wasserstoff betriebenen Blockheizkraftwerken, wobei die Wärme in Pellets zwischengespeichert wird und der Strom in die Netze fließt.

Sowohl die Pelletproduktion als auch die Pellets selbst sind sehr gute Strom- und Wärmespeicher. Grundlastkraftwerke sind in einem solchen Szenario nicht mehr nötig. Stattdessen benötigen wir hochflexible Residualkraftwerke, die Strom erzeugen und deren dabei anfallende Abwärme genutzt wird. Damit die beschriebene Energiezukunft Wirklichkeit werden kann, muss ein an der Gesamteffizienz ausgerichtetes Modell etabliert werden, dem sich alle Investitionen unterordnen. Und natürlich ist ein dazu passender Rechtsrahmen zu schaffen. Das derzeit praktizierte Unbundling verhindert gesamtheitliches Denken und damit auch Investitionen in die richtige Richtung.

Luftaufnahme von WUNBioenergie und WUNPellets bei Nacht

Der Energiepark Wunsiedel ist ein Beispiel für die Umsetzung systemischen Denkens.